Diese Frage taucht in meinen Seminaren immer mal wieder auf. Und ich reagiere oft mit einer Gegenfrage: Warum wollen Sie ein authentischer Redner sein? Übrigens erhalte ich diese Frage häufiger von Männern, denn von Frauen.
Warum wollen Sie ein authentischer Redner sein?
Antworten gehen dann vielmals in diese Richtung:
– ich will, dass die Leute mir glauben
– ich will, dass die Menschen mir zuhören
– ich will, dass ich verstanden werde
– ich will, dass ich glaubwürdig erscheine
– ich will eine gute Figur machen
– ich will meine Gedanken darlegen
– ich will überzeugen
Kommen Antworten wie diese, dann lohnt es sich ins Gespräch einzutauchen – dient dem Redner hier Authentizität?
Was heißt den Authentizität?
Ich greife heute für diesen Artikel zu meinem Brockhaus in 3 Bänden aus dem Jahr 2000 und werde nicht fündig. Ich gebe nicht so schnell auf und nehme das nächste Lexikon zur Hand, Wikipedia kann ja nicht die einzige Autorität in diesem Fall sein. Das große farbige Lexikon aus dem Jahr 1991 in seiner 5. Auflage – bietet einen ersten schriftlichen Anhaltspunkt.
Authentisch wird hier aus dem Griechischem „authentikós“ mit „echt, verbürgt“ übersetzt.
Jetzt fängt mein Rhetorikerherz an, ganz laut und vehement zu kloppen, dass es bis nach draußen dringt.
Nun greife ich doch auf Wikipedia zurück – denn dort steht ein Text, der meinem alten Prof Joachim Knape frisch aus dem Mund entsprungen scheint:
„Die Rhetorik verhandelt die Authentizitätsfrage auf der Textebene und der Ebene der rednerischen Performanz (Aufführung). Es handelt sich dabei um eine Inszenierung, die ihre Inszeniertheit zu verbergen und so einen Echtheits- bzw. Wirklichkeitseffekt zu erzeugen sucht (vgl. das Prinzip der dissimulatio artis). Authentizität ist nicht als Eigenschaft, die einem Text oder einer Person einfach innewohnt, zu verstehen, sondern als Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses, das auf die rednerische Intention zurück geführt werden soll.
Auf der Textebene entsteht Authentizität durch Verbergen der Konstruiertheit des Textes, hier sind Medien wie Film oder Fotografie sehr erfolgreich. In Bezug auf die rednerische Performanz steht der Begriff der Authentizität in einem engen Verhältnis mit dem Ethos einer Person, in der Rhetorik mit dem Orator.“[i]
Authentizität – die Echtheits- bzw. Wirklichkeitseffekt zu erzeugen sucht
Wir – Redner – versuchen einen Echtheits- und Wirklichkeitseffekt zu erzeugen – ich höre schon die Schreie der Gegner der Rhetorik – dann ist es ja Schauspiel.
Noch einmal zitiere ich, denn meine eigenen Worte bringen es nicht klarer ans Licht: „Authentizität ist [… das] Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses.“
Das was mir als Rednerin zu geschrieben wird, ist demnach die Wertung meines Auftretens. Dabei spielt der Ethos eins Redners eine große Rolle. Aristoteles beschreibt neben dem Ethos, also des moralischen Auftretens einer Person, Pathos – die Leidenschaft und Logik – den Gebrauch der Worte und ihrer Sinnhaftigkeit als Grundlage für Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft.
Was also die Menschen in mir als Redner und Rednerin sehen, bzw. sehen wollen, wird als authentisch wahrgenommen. Diesem Zuschreibungsprozess kann ich nun bewusst unterstützen oder ganz unbewusst geschehen lassen. In letzterem Fall handle ich jedoch nicht rhetorisch sondern allgemein kommunikativ.
Was heißt denn hier rhetorisch?
Rhetorisch heißt ich beabsichtige eine oder mehrere bestimmte Handlungen bei meinen Zuhörern auszulösen – sei es ein Einkauf, eine Stimmabgabe, eine Unterschrift unter den Vertrag oder einem Nacheifern meiner eigenen Haltung. Meine Absicht als Orator – als willentlich redender Mensch – zielgerichtete Handlung auszulösen.
Dann muss ich ja doch Schauspielern um als Redner zu überzeugen
In diese Richtung gehen oft die Diskussionen mit meinen Seminarteilnehmern. Da spreche ich dann ein entschiedenes „NEIN“ aus. Schauspielerei passiert auf Gutdünken eines Regisseurs oder jemanden, der ein Drehbuch schrieb. Diese beiden Figuren geben dem Schauspielendem Anweisungen für das eigene Verhalten. Natürlich werden damit Emotionen in den Zuschauenden erzeugt, das will ja Schauspiel auch und es soll echt wirken – wie im obigen Zitat beschrieben wirkt Authentizität auf Textebene – im Film und Fernsehen sehr häufig.
Oratoren, die sich als Redner schauspielerisch bewegen, prophezeie ich, dass Sie scheitern werden.
Redner, die schauspielern und dadurch authentisch wirken wollen – fallen auf die Nase
Dennoch bedient sich, ja lebt Rhetorik von der Inszenierung.
Geleitet von meinen eigenem „telos“ – dem inneren Beweggrund den Mund aufzumachen, planen gute Redner Ihren Redeauftritt. Dazu gehört neben einer soliden rhetorischen Vorgehensweise der Skripterstellung, die Analyse des antizipatorische Adressatenkalkül und geht bis hin zur detaillierten Ausarbeitung der Handlungsaufforderung an die Zuhörer.
Anders als beim Schauspieler, der auf Anordnung von anderen einem Spielplan folgt und diesen beliebig oft wieder abrufen kann – immer in Verbindung der eigenen Moralvorstellungen, der eigenen Leidenschaft und der eigenen Wortfindung.
Der Redner verfolgt eine bestimmte Wirkabsicht, diese scheitert unweigerlich, sobald das Bild des Redners beim Zuhörer schief hängt. Das bisherige Verhalten, das jetzige Verhalten und das zu erwartende Verhalten des Redners müssen dieser Wirkabsicht entsprechen.
Das Beispiel Klaus Wowereit
Ein aufstrebender Berliner Politiker „outet“ sich. Wer jetzt glaubt, dieses Quting entsprang dem Moment, war spontan und super authentisch – den bitte ich innezuhalten und sich dieses Video anzuschauen.
Klaus Wowereit – ich bin Schwul und das ist auch gut so.
Ich vermute eher – dass Klaus Wowereit vorsorgen wollte, sich ein Image aufbauen, das auf Ehrlichkeit, Vertrauen und auch ein Stück „Andersartigkeit“ aufbauen sollte. Wären Anschuldigungen aufgetaucht, dass er sein „Schwul sein“ versteckt, verleugnet oder anderweitig kleinredet, dann wäre das wohl der größere Imageschaden.
Ein abschätzen der Parteifreunde – halten Sie einen schwulen Politiker aus – der damit an die Öffentlichkeit geht? Die Prüfung des Publikums hielt wohl stand und so trat er verbürgt (und damit vielleicht authentisch) für sein Schwul sein auf.
In diesem speziellen Fall, ging das Kalkül auf – seine sexuelle Orientierung ist kaum mehr Gesprächsthema und kein Angriffspunkt auf seine politischen Ämter. Es gibt ihm die Aura der Ehrlichkeit, der Offenheit und wirkt für viele andere politische Streitsituationen als Vorrat an Glaubwürdigkeit. Ganz dem Motto folgend – „wer sowas von sich preisgibt, lügt auch in anderen Dingen nicht“.
Damit hat die oben beschrieben Authentizität dem Redner zu getragen, ihn gestärkt und ein wohl gewähltes Bild in der Öffentlichkeit inszeniert.
Ina Machold fragt in Ihrer Blog-Parade: Ist Authentizität und Erwartungen in der Dienstleistung – ein Balanceakt?
In meinem Beruf als Rhetorikerin arbeite ich seit 10 als Dozentin. Ich bin damit also Dienstleisterin.
Bis zum Auftauchen der Blog-Parade habe ich mich nie ernsthaft gefragt, ob ich authentisch auf meine Kunden wirke. Ich vermute, dass liegt an dem Verständnis, dass ich für den Begriff Authentizität habe. Ich stimme der obigen Definition zu, wie wir sie auf Wikipedia finden, denn Sie klingt in meinen Ohren sehr, wie die Vorlesungen von Joachim Knape über Glaubwürdigkeit und Inszenierung.
All mein Handeln und Tun muss mit meinem eigenen Ethos – meiner Moral übereinstimmen. Und um Glaubwürdigkeit zu erzeugen, auch im Rahmen der Moral meiner Zuhörer liegen. Sobald ich gezwungen werde etwas gegen meine moralischen Grundfesten in Angriff zu nehmen – scheitere ich und breche ab. Daher entscheide ich mich bewusst nur innerhalb meines Ethos zu handeln – dank meines Studiums in Tübingen, fällt es mir leicht als Rednerin, Bloggerin und Dozentin meine Werte der Rhetorik zu verfechten und dafür einzutreten. Meine moralischen Grundfesten paaren sich hier mit Fachwissen und Erfahrungswerten.
Macht mich das in den Augen meiner Kunden zu einer authentischen Dienstleisterin?
Schuster bleibt bei deinen Leisten
So ein bis zweimal Jahr geschieht es, dass mich Firmen anfragen zum Thema Verkauf oder Stimmtraining und sind dann immer völlig buff, wenn ich freudestrahlend den Auftrag ablehne. Ich halte es da mit dem alten Sprichwort: „Schuster bleib bei deinen Leisten.“ Meine Ausbildung lief auf einer anderen Ebene ab – ich habe weder Psychologie noch BWL oder Kundenmanagement studiert oder eine fundierte Ausbildung für die Stimmbildung wie es Schauspieler oder Gesangslehrer oft vorweisen. In meinen Vorstellungen sind das die Grundfesten, um Mitarbeiter im Verkauf zu schulen – zumindest für den Akt des Verkaufens.
Mein Steckenpferd ist die klassische Rhetorik, da fühl ich mich daheim und stimme offenen Herzens Aufträgen zu.
Daher ist es mir auch wichtig die Ausgangfrage zu beantworten – sofern eine umfassende Antwort darauf möglich ist.
Wie werde ich zum authentischen Redner?
In dem Sie Ihrem Herzen folgen. Bleiben Sie sich selbst treu, laufen Sie in ihren eigenen Stiefeln und in Ihrem eigenen Tempo. Diese Weisheiten finden sich in vielen Sprichworten und ich sehe mich deshalb darin bestärkt – authentisch sind Sie dann, wenn Ihr Selbstbild und das Ihrer Zielgruppe möglichst eng beieinander liegen.
Wenn Sie deshalb strategisch agieren, geplant auftreten und Ihre Redebeiträge ausarbeiten und proben, dann sind Sie aus meiner Sicht auf dem richtigen Weg und authentisch.
Dazu gehört es auch, dass Sie sich zum Beispiel bewusst werden, ob und wo Sie sich während einer Präsentation überall kratzen – obwohl das spontan oder reflexartig geschieht, entspricht es wohl kaum ihren moralischen Vorstellungen einer angemessenen Präsentation. (Dieses Beispiel fand ich übrigens passender Weise in den Komentaren)
Sinkt die Glaubwürdigkeit des Präsentierenden, weil er sich zu allen möglichen und unmöglichen Stellen während der Präsentation kratzt? Bleibt er authentisch? Wenn ich meinen moralischen Vorstellungen folge, erscheint es mir dieses Verhalten, weder der Situationen, seiner Aufgabe als Redner oder dem Publikum noch dem Thema entsprechend. Für mich ist das nicht authentisch – sondern unangemessen.
Wenn wir hier einen gemeinsamen Ansatz gefunden haben, dann unterstütze ich Sie gern dabei – eine authentische Rednerin zu werden. Für Männer gilt das gleiche, gern begleite ich Sie auf Ihrem Weg als Redner.
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