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August 6, 2007

Progymnasmata – Aus Kindern werden Rhetoriker!

Immer wieder fragen wir uns, was machen wir mit unserer Jugend?

Viele Kinder und Jugendliche sind der Sprache in all Ihren Facetten kaum mehr mündig. Dieses Problem gab es in der Antike auch. Daher haben dort einige schlaue Köpfe überlegt, wie wir dagegen etwas tun können. Die Lösung heißt:
Progymnasmata

Unter dem Begriff der Progymnasmata versteht man, Manfred Kraus folgend: „eine nach wachsendem Schwierigkeitsgrad geordnete Reihe kleinerer, für Anfänger gedachter kompositorischer Vorübungen, die schrittweise vom Grammatik- zum Rhetorikunterricht hinführen und auf die schwierigen Übungsformen der vollständigen, mündlichen Deklamation vorbereiten[1].“ Demnach sind Progymnasmata Vorübungen, die im Lateinischen mit praeexercitamina, praeexercitamenta, preaexercitationes, praeludia, primae apud rhetorem exercitationes oder dicendi primordia beschrieben werden und im Englischen preliminary exercises bzw. im Französischen exercices préparatoires und im Italienischen esercizi preparatori heißen (Kraus 2002, S. 1).

Lausbergs Definition bettet die Bedeutung der, in den erweiterten Übungskanon ein, der von der Antike bis in die Gegenwart reicht,. Lausberg führt an, dass „die praeexercitamenta [..] nur einfache Inhalte [haben] und demgemäss keine selbständige Rede [bilden], sondern nur als Teil der Rede Verwendung finden“ [2]. Darüber hinaus gehend, schafft Lausberg wissenschaftlich die Verbindung von progymnasmata bzw. praeexercitamenta und declamatio (§1106), indem er auf den fließenden Übergang der vor-rhetorischen zu den rhetorischen Übungen verweist. Die Progymnasmata schließen sowohl mündliche als auch schriftliche Übungen ein, die vom antiken Lehrmeister geprüft und berichtigt wurden, nachdem er entweder eine Gliederung oder ein eigenes Beispiel zur Verfügung stellte[3]. Es war nicht Ziel, die Imagination oder eigenständige Gedankengänge der Zöglinge zu entwickeln, dazu dienen später die declamationes. Vielmehr galt es, dem Zögling Gewalt über die Sprache zu lehren, die Fähigkeit zu vermitteln das Gleiche auf unterschiedlichste Art und Weise wiederzugeben sowie ein gegebenes Thema innerhalb vorgegebener Grenzen zu paraphrasieren und zu besprechen, um sie mit Aussprüchen, Erzählungen, Vergleichen und Thesen zu untermauern (S. 38). Hervorzuheben ist, dass im Verlauf der Ausbildung, der Schüler größere Freiheit im Umgang mit der Sprache erlangte. Die Progymnasmata, geprägt durch formelhafte Entwürfe, schaffen einen hohen Grad an rhetorischen Fertigkeiten, wenn sie dem Alter entsprechend geübt werden (S. 38).

Die Anordnung der einzelnen progymnasmatischen Übungseinheiten ist ein sehr wichtiger Aspekt innerhalb der Rhetorikausbildung. Viele Autoren beginnen jedoch mit einer Bestimmung der einzelnen Progymnasmen nicht aber mit der Entstehung derselben. Die Entwicklung der Reihenfolge ist für eine moderne Adaption von essentieller Bedeutung. Die Entstehungsgeschichte der Progymnasmen gewinnt an Bedeutung, bedenkt man, dass sich mit der Zeit Veränderungen in a) Ordnung, b) Umfang und c) Ansiedlung innerhalb der Schulform vollziehen. Im Folgenden wird deshalb zuerst über die Anordnung, den Umfang sowie die Platzierung innerhalb der Ausbildung gesprochen.


Die exakte Entstehungszeit der Progymnasmata ist unbestimmt, jedoch stimmen sowohl Kraus[4] als auch Bonner[5] darüber ein, dass die Progymnasmen vermutlich ein graduelles Ergebnis des hellenistischen Schulunterrichts sind. Einzelne Progymnasmen, zum Beispiel die Fabel, die Thesis oder die Chrie, haben scheinbar tiefreichende Wurzeln, andere hingegen stoßen erst später hinzu. Die Progymnasmata bereits in der „Rhetorik an Alexander“ (Kapitel 28) zu suchen, gilt als ein „isolierter Frühbeleg, [welcher] zu unspezifisch und höchstwahrscheinlich kaiserzeitliche Interpolation“ [6] ist, wie Kraus anführt.

Wenn auch die Entstehungszeit ungewiss bleibt, so vermutet Bonner, „that the Progymnasmata have been fairly complete by the first century B.C., and maybe earlier, for already in the late Republic the set, or a good part of it, was being used by teachers of rhetoric in Latin, who called them exercitationes or, later, materiae[7]. Die Ausprägung der Progymnasmata muss, zumindest in ihrer Anfangszeit, örtlich getrennt betrachtet werden, zum einen die Entwicklung und Wirkung in Griechenland, zum anderen die Derivationen in Rom. In der griechischen Rhetorikausbildung behielten die Progymnasmata ihren angestammten Platz über einen langen Zeitraum hinweg bei, sie blieben Bestandteil des Rhetorikunterrichts. Hingegen zersplitterten die Progymnasmata in Rom, wurden teilweise von den Rhetoriklehrern vernachlässigt und von den Grammatiklehrern übernommen.

Abbildung 1 Progymnasmata- und Schulentwicklung im antiken Rom[8].

Es werden vier Handbücher aus Rom und Griechenland überliefert: THEON, Hermogenes, Aphthonios und Nicolaos[9]. In Griechenland war es zur gegebenen Zeit vor allem Aelius THEON, der ein für den Lehrer bestimmtes überaus detailliertes Werk verfasste[10]. Es folgt ein kurzes Buch des Hermogenes von Tarsus aus dem zweiten Jahrhundert, welches bereits deutliche Spuren eines stereotypischen Systems zeigt. Nur das bare Gerüst und wenige darüber hinausgehende Anweisungen sind enthalten. Priscian, der Grammatiker, verfasste im sechsten Jahrhundert n.Chr. eine lateinische Version, die Hermogenes zugeschrieben wird[11]. Das dritte wichtige Werk über die Progymnasmata stammt von APHTHONIOS aus Antiocha, ein Schüler des Libanius in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts. Sein „kleines Manuell“ wie Bonner es nennt, gereicht zu großem Erfolg. Über lange Zeit hinweg hatte APHTHONIOS’ Werk großen Einfluss auf die Bildung in Griechenland und ganz Europa, da es ausgearbeitete Beispiele der verschiedenen Übungen enthält und für den Schulbetrieb geschrieben ist. Im sechszehnten Jahrhundert wird APHTHONIOS Werk sowohl von Reinhard Lorich (S. 204) als auch von Rudolph Agricola (S. 164) ins Lateinische übersetzte und mit Kommentaren versehen, wodurch sich die Popularität stark erhöhte. Hingegen werden den Arbeiten von Libanius, dem Lehrer APHTHONIOS’, sowie den Traktaten des Nicolaus Sophista aus dem fünften Jahrhundert nur geringe Bedeutung geschenkt, obwohl das eine eine üppige Sammlung von Beispielen für Studenten enthielt, das andere sich Gedanken zur Anordnung der Übungen und ihrer Platzierung innerhalb der Schulbildung machte[12].

Nachfolgend gilt es, die wichtigsten Autoren und Ihre Werke vorzustellen, um die Entwicklung der Progymnasmata hervorzuheben.


[1] Kraus, 2002, S. 1.

[2] Lausberg 1990, § 1106.

[3] vgl. Clake 1971, S.38.

[4] Kraus 2002, S. 2

[5] Bonner 1977, S. 250f.

[6] Kraus 2002, S. 2

[7] Bonner 1977, S. 250 Hervorhebung durch die Autorin.

[8] Torma 2001, Seminararbeit unveröffentlicht.

[9] Kennedy 1994, S. 204

[10] Bonner 1977, S. 251

[11] Kennedy 1994, S. 204

[12] vgl. Bonner, S. 251f

© Das Copyright liegt bei Judith Torma, Erstveröffentlichung in der Magisterarbeit Progymnasmata in Lehrplänen, 2004.

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Judith Torma blogt seit 2007 hier auf dem Rhetorikblog. Als Tübinger Rhetorikerin unterrichtet sie seit 2003 Jahren Führungskräfte in mittelständischen Unternehmen. Hier auf dem Blog verschenkt Sie Rhetoriktipps und freut sich über den Dialog mit Ihren Lesern & Hörern.

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